1. Mai 2023 | Meldung

Menschen statt Märkte im Mittelpunkt: Rede zum 1. Mai in Hameln

Maximilian Schmidt spricht bei der Mai-Kundgebung des DGB in Hameln

Bei der diesjährigen Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds und seiner Mitgliedsgewerkschaften im Bürgerpark in Hameln hat Maximilian Schmidt als Geschäftsführer von Arbeit und Leben Niedersachsen ein Grußwort zur Zukunft der Arbeit gehalten – die zentrale Botschaft: Auch bei allen Veränderungen wird die Arbeit der Zukunft die Arbeit von uns Menschen sein.

Den kompletten Redetext gibt es hier zum Nachlesen:

Meine Damen und Herren,
vor allem aber: Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich darf mich zunächst vorstellen: Mein Name ist Maximilian Schmidt, ich bin 39 Jahre alt, lebe mit meiner Frau und Tochter im Landkreis Celle, und beruflich darf ich einen, wie ich finde, enorm spannenden Job machen – mit einem Team von rund 300 Kolleginnen und Kollegen gestalten wir mit Arbeit und Leben, der Bildungseinrichtung der Gewerkschaften, an rund 20 Standorten in Niedersachsen – so auch hier in Hameln – jedes Jahr tausende Bildungsangebote für zehntausende Menschen.

Ich bin eingeladen worden, um heute einen Blick in die Zukunft der Arbeit zu werfen. Wie also wird die Zukunft der Arbeit aussehen? Derzeit leben wir im permanenten Krisenmodus. Drei Corona-Jahre, jetzt seit über einem Jahr der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Energiekrise, rasant gestiegene Preise. Und gleichzeitig haben die anderen großen Bewegungen unserer Zeit ja nicht plötzlich aufgehört: Die Klimakrise ist präsenter denn je, Wirtschaft und Arbeit verändern sich durch eine rasante digitale Transformation.

Robotertechnik ist in vielen Unternehmen bereits jetzt Standard – und wir können bereits heute ahnen, welche Auswirkungen die Künstliche Intelligenz haben wird, fast jeden Tag gibt es in dem Feld enorme technische Fortschritte. Sogenannte KI, also ein digitales Programm, kann mittlerweile ganze Bücher allein schreiben, fotorealistische Bilder zeichnen und täuschend echte Unterhaltungen führen. Und diese technischen Fortschritte können auch von Feinden der Demokratie genutzt werden, die unsere demokratischen Gesellschaften mit Desinformation und Verschwörungstheorien destabilisieren wollen.

Worauf kommt es also an in Zeiten des Wandels? Die – wie ich finde – zeitlos richtige Antwort auf diese Frage hat vor Jahrzehnten bereits Hans Böckler gegeben, der erste Vorsitzende des DGB damals 1949: „Es ist immer und einzig die menschliche Arbeit, durch welche die Gemeinschaft lebt.“

Es zählt eben die menschliche Arbeit. Selbst von der Arbeitgeberseite wird das Thema Fachkräftemangel erstmals als größtes Risiko für die Wirtschaft eingeschätzt. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit hat kürzlich fast 2 Millionen offene Stellen für Deutschland ermittelt. Und das gilt gerade für das Weserbergland, hier ist der Fachkräftemangel noch größer als anderswo.

Wenn aber über Fachkräftemangel geredet wird, dann ist das fast schon ein bisschen abstrakt. Es geht um Menschen. Vor allem geht es um jene, bei denen im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit das Kümmern um andere Menschen steht. Es geht um alle, die in Kitas, in Schulen, bei der Polizei und vor allem in der Pflege arbeiten. Das ist doch die wichtigste Arbeit überhaupt – Mitmenschen zu schützen, zu betreuen, zu bilden, zu pflegen.

Nur ein Beispiel: 300.000 Pflegekräfte könnten sich vorstellen, in ihren Beruf zurückzukehren – wenn sich endlich die Bedingungen deutlich verbessern. Manche glauben ja: Egal, dann holen wir die Arbeitskräfte eben aus dem Ausland. Das ist schon einigermaßen dreist, vor allem aber ist es völlig illusorisch. Gut ausgebildete Menschen haben auch Optionen anderswo. Deshalb lautet unsere klare Ansage: Rauf mit den Löhnen! Gute Tarifverträge abschließen! Gute Arbeitsbedingungen schaffen! Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sicherstellen, damit Frauen nicht in der Teilzeit- oder Minijobfalle landen! Dann funktioniert es auch mit den Fachkräften, ob sie nun schon da sind oder noch kommen.

Ohne Zweifel: In Sachen Industrie ist das Weserbergland ziemlich gut aufgestellt. Von der Aerzener Maschinenfabrik über Lohmann in Emmerthal bis zu Symrise in Holzminden –im Weserbergland gibt es viel Potenzial für die Industrie der Zukunft, andere Regionen träumen nur von so einer Struktur.

Doch geht Industrie in Zeiten des Klimawandels noch so weiter? Machen wir künftig alles weniger und manches gar nicht mehr? Verzichten wir auf unsere Industriearbeitsplätze? Oder machen wir halt etwas Neues?

Ein Beispiel aus meinem beruflichen Alltag: Wir sind als Bildungseinrichtung gerade dabei, bei IAV – mit Zentrale in Gifhorn und 8.000 Mitarbeitern weltweit, im Automobilbereich eine der weltweit führenden Entwicklungsdienstleister – ein Bildungsprogramm für 2.000 Kolleginnen und Kollegen an den Start zu bringen. Das sind Hightech-Jobs, da sind hauptsächlich Ingenieure tätig. Aber auch deren Welt ändert sich: Die entwickeln eben keine Zylinderköpfe und Einspritzdüsen mehr. Weil nämlich absehbar keine Verbrennungsmotoren mehr gebaut werden, und das ist ja auch gut so.

Entscheidend ist aber, dass diese Beschäftigten nicht Opfer des Wandels werden, sondern wir gemeinsam etwas Neues entwickeln. Dass die Kolleginnen und Kollegen nicht wegrationalisiert werden, sondern in die Lage versetzt werden, den Wandel mitzugestalten. In Gifhorn zum Beispiel werden die künftig Digitaltechnologie und erneuerbare Energien entwickeln.

Ja, wir müssen den Klimawandel bewältigen – und ja, wir müssen auch Arbeitsplätze in Industrie und Handwerk sichern, nur so wird unsere Gesellschaft zusammenhalten. Weiterbildung – das ist dabei das Schlüsselwort. Wir brauchen mehr davon, nur so gelingt die Transformation. Und wir brauchen starke Betriebsräte, die durchsetzen können, dass Weiterbildung auch passiert. Wir brauchen mehr Bildungszeit, wir brauchen mehr bezahlte Freistellung, all‘ das muss gesetzlich abgesichert werden. Deshalb sage ich klar: Das versprochene Weiterbildungsgesetz muss endlich kommen, der Bundestag muss da abliefern!

Wer nach Fachkräften ruft, der muss sich auch den Ausbildungsmarkt anschauen. In der Corona-Zeit hatten wir einen Tiefstand bei neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Es kommt aber noch eine Zahl dazu, die ich absolut inakzeptabel finde: 230.000 – so viele junge Menschen sind im vergangenen Jahr im Übergang zwischen Schule und Beruf gelandet, ohne dass sie eine Perspektive auf einen Berufsabschluss haben. Und die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss steigt seit Jahren unaufhörlich.

Wenn Arbeitgeber erzählen, dass sie keine jungen Menschen mehr finden, dann müssen wir ihnen sagen: Sie sind da. Sie suchen eine Perspektive und einen Ausbildungsplatz. Deshalb war es absolut richtig, dass wir als Gewerkschaften für eine Ausbildungsgarantie gekämpft haben – und das gesetzlich garantierte Recht auf eine Ausbildung wird 2024 endlich kommen. Was aber noch fehlt, ist die Umlagefinanzierung: Betriebe, die nicht ausbilden, müssen zahlen – das muss die Devise sein!

Auch die Arbeit der Zukunft wird die Arbeit von uns Menschen sein. Überall auf der Welt verändert sich die Arbeit. Hier bei uns in Europa, in den demokratischen Gesellschaften unseres Kontinents, können und müssen wir beweisen, dass bei allen Veränderungen dabei aber Menschen und nicht Märkte im Mittelpunkt stehen.

Solidarität – das ist die Kraft, die uns als Mitmenschen zusammenhält und damit unsere Gesellschaft zusammenhält. Gerade wir als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wissen aus über 170 Jahren Arbeiterbewegung: Gemeinsam sind wir unschlagbar. Solidarität – das ist kein Überbleibsel aus der guten alten Zeit, nein, Solidarität, das ist Zukunft.

Dafür stehen wir, von Bad Münder bis Bad Pyrmont, im Weserbergland, bei mir zu Hause in der Lüneburger Heide, in Niedersachsen, Deutschland, Europa und der Welt.

Uns allen einen schönen, kämpferischen und nachher noch entspannten 1. Mai – unseren Tag der Arbeit. Herzlichen Dank für Eure Aufmerksamkeit!

Weitere Artikel